Mittwoch, 25. Januar 2012

Trockenzeit

Queridos compañeros!


An Tag 159 in Mexiko ist es Zeit für einen neuen Blogeintrag, der euch die neuesten Entwicklungen näherbringt. Am vorvergangenen Wochenende hatten wir das Camp zur Halbzeit, also alle IJFD- und weltwärts-Teilnehmer (das sind zusammen noch 23 Jugendliche) sowie alle AFS-Schüler in der Nähe von Valle de Bravo auf einem wahrhaftigen Camp. Kleiner Nachtrag: Wir sind als 27 Jugendliche gestartet, drei Mädchen sind freiwillig zurückgekehrt, eine "wurde" zurückgekehrt, öffentlich gibt es dazu natürlich von meiner Seite keine Auskunft ;)

Das AFS-Camp
Ende Dezember fuhren wir nach Taxco, Guerrero.
Es war an jenem Wochenende eiskalt, das Camp war von der Polizei umzingelt und wir konnten es nicht verlassen, nicht einmal, um eine Zahnbürste zu kaufen :D Ansonsten war es recht entspannend, der beste Part bestand selbstverständlich darin, all meine MitteilnehmerInnen wiederzusehen und experiencias zu sharen. Entschuldigt meine Ausdrucksweise, aber ich bin im Moment kulturell etwas beeinträchtigt sozusagen, neben Englisch und Deutsch werde ich demnächst wahrscheinlich auch Russischunterricht an der Universität geben, alles total lässig. Rein rechnerisch ist erst in einigen Tagen Halbzeit, aber organisatorisch war das für AFS wahrscheinlich ein besserer Termin... Jedenfalls möchte ich an dieser Stelle noch einmal ein riesiges Lob für meine Gastfamilie aussprechen, das kommt manchmal zu kurz: Viele haben ihre Gastfamilie gewechselt und manche möchten es noch und das zum Teil aus sehr nachvollziehbaren Gründen. Wenn ich ihre Probleme sehe, geht es mir pudelwohl! :)

Meine Arbeit und mexikanische Probleme
Taxco am Abend.
Alles läuft seinen Gang, ich habe von Montag bis Samstag durchgehend genügend Arbeit, bin zwar nicht absolut ausgelastet, aber langweile mich jetzt nicht wirklich. Langsam aber sicher, habe ich mich an die Arbeitsmoral hier gewöhnt und gehe nicht mehr ganz so frustriert aus dem Englischunterricht heraus. Es ist schon ungewöhnlich der riesige Unterschied, immerhin bin ich hier auf dem Bachelor-Niveau und die Fremdsprachenkenntnis ist, gelinde gesagt, niederschmetternd :/ Das macht mich ein wenig traurig, weil das aus den mir geschilderten Erfahrungen hauptsächlich am Bildungssystem liegt. Schon blöd, wenn man von der 7. Klasse bis zum Bachelor am Verb "to be" hängen bleibt. Und den Lehrplan macht ja bekanntermaßen wie bei uns in Deutschland der Bundesstaat. Kann ich jetzt persönlich leider auch nicht viel daran ändern. Und die Motivation, die ich hier gern verbreiten würde, hält sich auch in Grenzen. Geschweige denn, dass ich hier wirklich "genutzt" werde. Die Wenigsten kommen auf mich zu, um mich etwas zu fragen. Anstatt vielleicht auch mal bei den Hausaufgaben oder so zu fragen, niemals... Vielleicht ist es hier eine Schande, nach Hilfe zu fragen, aber eigentlich ist mir das in dieser Kultur noch nicht so richtig aufgefallen.

Familie vs. Karriere
Aufgefallen sind mir andere Dinge: Die Familie hat hier den allerhöchsten Stellenwert. Die allermeisten Studentinnen wohnen noch bei ihren Familien, auch wenn sie dafür täglich zweimal eine Stunde Fahrzeit im Bus (!) auf sich nehmen müssen. Und in dem Bus kann man natürlich, im Gegensatz zum Zug, auch nicht optimal lernen und die Zeit nutzen. So stehen sie früh auf, gegen spät zu Bett und müssen intensiv im Haushalt mithelfen, weil sie ja Frauen sind und kommen so nicht dazu, sich genügend auf das Studium zu konzentrieren. Finde ich alles etwas schade.

El futuro
So schmücken manche Mexikaner zu Weihnachten.
Aber alles in allem bin ich ganz zufrieden mit meiner Performance hier, das Geld der deutschen Regierung ist auf jeden Fall nicht falsch investiert und das Ziel, im Nachhinein in Deutschland für interkulturelles Verständnis etc. zu werben; dem werde ich auf jeden Fall nachkommen, darauf könnt ihr euch gefasst machen. Ich werde wahrscheinlich mein Leben lang von den Erfahrungen hier zehren. Zunächst einmal werde ich aufpassen, wie man Guacamole zusammenrührt, das könnt ihr dann auf der Welcome back-Feier genießen. Die haben wir (oh ja) zunächst auf Anfang/Mitte August datiert, weil - wie ersichtlich - unter Umständen eine sehr gute Freundin (hm, wer wohl? :D), die dann ebenfalls ein Weilchen im Ausland gewesen sein wird (Futur II, yeah!), dazukommen wird und wir dann schlicht und einfach mal den ganzen Jahrgang einladen werden ... haha :D

Eine klitzekleine Nachricht möchte ich euch noch mitteilen: AM 21. JULI 2012 LANDE ICH AUF DEM BERLINER FLUGHAFEN! >> Wer mag, kann ein Facebook-Event anlegen und alle einladen ;) Zeitlich müsste es so grob zwischen 17 und 19 Uhr sein sein, wenn die Lufthansa keine Probleme verursacht. Apropos, ich muss mich unbedingt darum kümmern, dass sie uns mehr Gepäck (möglichst einen Koffer mehr :D) erlauben. Immerhin leben wir unter besonderen Umständen elf Monate im Ausland im Rahmen eines staatlich geförderten Programms...

Aktuell am Laufen
Ich freue mich auf euch. Aber vorher werde ich hier erst einmal noch meine anstehenden Projekte durchziehen, dazu gehören Deutsch-Privatunterricht, Russischkurs etc. Für das Ende des Schuljahres planen wir jetzt eine Konferenz in einem großen Saal, die allen Interessierten die deutsche Kultur näherbringen soll (dann will ich ihnen auch mal erklären, dass wir Deutschen wirklich humorvoll sein können, abgesehen von einem Thema: Hitler - ich wurde nämlich schon "humorvoll" Nazi genannt, dann wurde ich komisch angeschaut, als ich nicht darüber gelacht habe, sondern angesäuert war...).

Interkulturelle Informationen zu Mexiko
Schulleiterin, Truthahn, Söhne der SL und meine Gastmutter (vlnr).
Und noch ein kleiner kultureller Beitrag, den ihr sicher spannend finden werdet, weil er einen großen Unterschied zu Deutschland aufzeigt. Essen: Hier gibt es eine Art Brötchen, aber die Mehrheit der MexikanerInnen nimmt aus dem Brötchen den Teiginhalt heraus und ist quasi nur die Kruste! Ist mir heute erst so richtig aufgefallen. Also für mich war das immer der wichtigste Bestandteil des Brötchens und wer hat nicht als Kind auch den Teig herausgenommen und NUR den gegessen, die Kruste beiseite gelassen?! Strom, Wasser etc.: Das Leitungswasser ist hier natürlich nicht trinkbar. Wenn man ankommt, bemerkt man auch den abweichenden, unnatürlichen Geruch, inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Mag auch daran liegen, dass wir hier täglich nur eine Stunde (!) Leitungswasser bekommen. In dieser Zeit ist der Hahn durchgehend aufgedreht und befüllt fortwährend einen großen, offenen Steintank, der vor unserem Haus steht. Von dem aus pumpen wir täglich oder alle zwei Tage (immerhin mit einer elektrischen Pumpe) Wasser in den Tank auf dem Haus, dessen Wasser dann sozusagen zum Duschen und Benutzen dient. Wasseranschluss gibt es dann auch einzig im Badezimmer, weil wir in der Küche Mineralwasser aus garrafones (diese äh, zehn Liter fassenden Wasser"fässer"?) nutzen. Ganz genau. Elektrizität ist hier auch so eine Sache. Preislich kann ich das nicht vergleichen, monatlich kommt das so bei umgerechnet 10€ heraus, finde ich ganz ordentlich. Strom fällt öfter aus, ihr solltet die Straßenzüge mit den überall herumhängenden Leitungen sehen. Als der Zirkus in der Stadt war, fiel der Strom täglich aus. Also von Netzstabilität können die hier auch nur träumen ;) Mir wurde das so erklärt, dass man die Leitungen nicht unter der Erde verlegt, wegen der Erdbeben und so. Aha, bin ich mir jetzt nicht so sicher... Wie dem auch sei, hier wird teilweise der Strom hin- und hergezapft, an jedem Haus gibt es jetzt so einen digitalen Zähler. Sehr merkwürdig... Eigenes Internet haben die Wenigsten, da habe ich Glück mit meiner Gastfamilie. Im Vergleich habe ich hier so DSL 1000, würde ich behaupten. Geht so, aber Skype schafft halt keine gute Qualität so wirklich :/ Das Internet ist gar nicht so billig, wenn ich mich richtig erinnern kann, bezahlt die Familie hier $400 pro Monat, also derzeit etwa 23,40€, was für die Geschwindigkeit natürlich zu viel ist. So sieht das aus. Heizung haben wir übrigens nicht, falls es euch schon aufgefallen ist ;) Der Herd wird mit Gas betrieben, der zugehörige Tank steht auf dem Dach und rund um Silvester hat mir das ziemlich Angst gemacht, weil die kleinen Kinder auf der Straße mit ihren Böllern (häufiger als in Deutschland) gespielt haben und das Dach nur geringfügig über Straßenniveau ist. Da hat meine Gastmutter häufig die Kinder auch verscheuchen müssen. Bis jetzt lebe ich noch :) So viel dazu. Miete beträgt in unserer Wohnung $500, in Toluca bekommt man Wohnungen für $1000 bis $2000, was sehr günstig ist im Vergleich mit Deutschland.

Allerbeste Grüße aus dem milden México!

Damit verbleibe ich
Euer Rico

PS: Vergesst meinen Geburtstag nicht ;)

PPS: Das nächste YouTube-Video kommt bestimmt. Nur nicht so bald, perdón!

Donnerstag, 12. Januar 2012

Bürgermeistermord in Ixtapan!

Liebe Leserinnen und Leser,

ich hoffe, dass euch der letzte Eintrag etwas erleuchtet hat. Nach dem ich nach dem Blogeintrag über mexikanisches Essen schon einen Text zur Sicherheitssituation angekündigt habe, werde ich das heute zumindest teilweise verwirklichen. Ich werde hier über einen interessanten Zwischenfall aus dem Jahre 2008 berichten, der euch sicher sehr interessieren und eher aus einem Film als aus der Realität vorkommen wird. Viele Informationen, die ich aus Gesprächen entnehmen konnte, habe ich auch im Internet nachprüfen können, sodass es gar nicht so unrealistisch ist, was ich euch hier erzähle.

Die Person...
Salvador Christopher "Chavo" Vergara Cruz, Mitglied der Partei der Institutionellen Revolution (PRI, Partido Revolucionario Institucional), war in der letzten Legislaturperiode beliebter Bürgermeister (presidente) des Touristenortes Ixtapan de la Sal. Er war für seine Bürgernähe bekannt. Eine Bekannte erzählte mir, dass sie ihn einmal vor dem Schwimmbad traf und er ihr erzählte, wie er später einmal Bürgermeister werden und was er verwirklichen möchte. Als er dann Bürgermeister war, redete er angeblich unverändert mir ihr über diese Dinge, sagt sie zumindest. Bekannt war er auch für seinen ausschweifenden Lebensstil: Häufig war er auf Tanzveranstaltungen anzutreffen und genauso häufig auch deutlich angetrunken. Eine andere Bekannte erzählt, dass sie ihn einmal "weggeworfen" (tirado) am Straßenrand traf und ihren Ehemann aufforderte, den Bürgermeister so zu fotografieren. Er war auch guter Bekannter des Gouverneurs des hiesigen Bundesstaates Mexiko (Estado de México), der, nebenbei gesagt, für die Präsidentschaftswahlen 2012 antritt und daher seinen Gouverneursposten vorzeitig im vorletzten Jahr abgegeben hat und dem hohe Chancen zugerechnet werden. Trotz Chavos hoher politischen Position und Morddrohungen von angeblichen Drogenbossen fühlte er sich scheinbar sicher genug, ohne eine Sondereinheit von Bodyguards aus dem Haus zu gehen. Er war beliebt und heutzutage sprechen viele Bürger Ixtapans wie von einem Märtyrer, wenn sie über den letzten Bürgermeister reden. Im Jahr 2009 wollte er für den Nationalkongress als Kandidat antreten, er wurde als aussichtsreicher Kandidat gehandelt, auch aufgrund seiner Kontakte zu Ex-Gouverneur Enrique Peña Nieto. Er starb im jungen Alter von 34 Jahren am Samstagnachmittag Ortszeit, 4. Oktober 2008.

...und sein Tod
Verantwortlich für den Tod des Bürgermeisters soll das Golf-Kartell (Cártel del Golfo) sein. Dieses ist beheimatet im Bundesstaat Tamaulipas, gelegen im Nordosten Mexikos an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. Andererseits sollen unter den 14 Verdächtigen, die für den Mord verantwortlich gemacht wurden, auch Mitglieder des Kartells La Familia aus dem Staat Michoacán gewesen sein. Das Beunruhigende an diesen Informationen ist, dass sich damit Hinweise verdichten, dass die Kartelle aus dem Norden in den Bundesstaat Mexiko eindringen und damit immer näher an die nationalen Behörden, denn der Staat grenzt direkt an den Bundesdistrikt, in Deutschland bekannt als Mexiko-Stadt. Andere Quellen berichten, dass Los Zetas für den Mord verantwortlich sind. Alles sehr schwierig nachzuweisen, einige Quellen berichten, dass die Zetas sich etwa in diesem Zeitraum auf größere kriminelle Aktionen vorbereiteten, außerdem, dass sie ein Arm des Golf-Kartells gewesen seien. Fest steht, dass die Zetas seit Anfang 2010 unabhängig agieren und als Gegner des Golf-Kartells gelten, für den Zeitraum davor lassen sich nur sehr schwer fundierte Aussagen treffen.

Gründe für Vergaras Tod sollen gewesen sein, dass er die bekannte Drogenschmuggel-Route, die von Acapulco über Ixtapan de la Sal bis in die Hauptstadt México D.F. führt, nicht unterstützte. Er soll den freien Handel von Drogen in und damit den Zugang zu Ixtapan de la Sal für den Drogenhandel (narcotráfico) in jeder Hinsicht verhindern haben wollen.

Ermordet wurde Chavo laut Berichterstattung durch 13 Schüsse (deutschsprachige Quellen sprechen von mindestens 15) von halbautomatischen Gewehren in seinem eigenen Auto (Beispiel-Foto) von vermummten Gestalten. Er war mit zwei weiteren Offiziellen unterwegs, sein Assistent wurde bei dem Attentat schwer verletzt. Der Mord soll nahe der Grenze zwischen den Bundesstaaten Mexiko und Guerrero im Stadtbereich von Coatepec Harinas, angrenzend an Pilcaya (Guerrero) geschehen sein. Der Ex-Chauffeur von Chavo, Jorge Millán, soll als Informant für die Attentäter fungiert haben. Laut mir vorliegender mündlicher Information und schriftlicher Berichterstattung soll er für 30.000 mexikanische Pesos (nach damaligem Kurs entsprechend 1.950 Euro) gekauft worden sein. Er hatte erst drei Wochen vor dem Attentat aufgrund "beruflicher Auseinandersetzungen" das Arbeitsverhältnis mit Ixtapans Bürgermeister beendet. Man geht davon aus, dass Millán seine Kontakte im Rathaus ausnutzte, um Information zu den Bewegungen von Chavo zu erhalten, wann dieser wo vorzufinden sei. Besonders dreist von Millán war allerdings sein Auftauchen auf der Beerdigung. Nicht nur das: Er soll zu den wenigen Personen gehört haben, die ein Blick in den Sarg von Vergara werfen durften. In diesem Moment soll er sich die Hände ins Gesicht geworfen haben, als gängiges Zeichen für "was habe ich nur angerichtet". Laut Quellen wurden am frühen Morgen des 5. Oktober in Coatepec und Ixtapan fünf Männer, alle unter 27 Jahre alt, sichergestellt, die erst vor wenigen Monaten von La Familia rekrutiert worden sein sollen. Eine Quelle berichtet, dass Juvenal Cruz Salcedo alias "El Viejo" ("Der Alte"), 39, und Germán Ramírez Salinas alias "El Niño" ("Das Kind"), 33, den Bürgermeister mit AK-47 (umgangssprachlich unter "Kalaschnikow" bekannt) umgebracht haben sollen.

In den spanischsprachigen Quellen findet man unter Umständen noch etwas ausführlichere Informationen, aber das sind die Rahmenbedingungen, die zu diesem Thema bekannt sind. Ich hoffe, dass es sich bei diesem Eintrag mal um einen anderen Inhalt handelt, der aber auch interessant ist.

Deutschsprachige Quellen:
Englischsprachige Quellen:
Spanischsprachige Quellen:

Ich beabsichtige, diesen Text veröffentlicht zu lassen. Da ich nicht weiß, ob es sich hier um sensible und kontroverse Informationen handelt, fürchte ich keine Konsequenzen. In jedem Falle halte ich euch auf dem Laufenden in Bezug zu diesem Thema.